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Die Full-Tilt-Story

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19. April 2012

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Die Full-Tilt-Story

Online ist wie im echten Leben. Die Online-Pokergemeinde beklagt inzwischen ihren ersten Bankrott. Ähnlichkeiten zu anderen Pleiten sind kein Zufall. Als Blaupause könnten die Aufräumarbeiten des Milliardenbankrotteurs „Bernie“ Madoff dienen. Ein Branchenreport in drei Teilen.

Die Online-Pokergemeinde kennt seit 2011 ihren „Schwarzen Freitag“. Die Pokerwelt erwischte es am 15. April 2011. Das FBI griff durch und für vier Pokerräume gingen zumindest zeitweise die Lichter aus. Die Websites von PokerStars, Full Tilt, Ultimate Bet und Absolute Poker wurden gesperrt. Es folgten Verhaftungen und Anklagen. Die Anklagepunkte lauteten auf Geldwäsche, illegales Glücksspiel und Bankbetrug. Keine kleinen Delikte also. Aber erklärbar – dachten die meisten Online-Gamer damals.

Das Problem mit der Legalität

Das Problem war aus Sicht der Branche vor allem die US-Gesetzgebung, die US-Bürgern das Online-Gambling um Geld erschwert. Die Pokerbranche zeigte sich bis dahin sehr findig in ihrem Marketing und Ausweichverhalten. Das Spielangebot wuchs schnell und viele neue Länder wurden erobert. Begünstigt wurde der Trend durch millionenschwere Werbekampagnen und Aktionen. Es entstanden Tausende von neuen Arbeitsplätzen, die beispielweise auf Gibraltar und auf einigen Inseln zu finden sind. Jetzt aber ist klar: Die Branche ist trotz allen Scheins hinter den Kulissen offenbar immer noch äußerst amateurhaft aufgestellt.

Mehrere Millionen US-Bürger spielten und spielen regelmäßig Online-Poker und einige davon um Geld: Die Gelegenheitsspieler sind dabei wohl in der Überzahl. Genaue Statistiken über den Gesamtmarkt existieren nicht, sondern nur Schätzungen, dabei gilt der US-Markt als der größte Kuchen.  300 Millionen Euro setzt die Branche Schätzungen zufolge jährlich in Deutschland um. Die Online-Spieler agieren in einem weitgehend rechtsfreien Raum, da die Gesetzgeber der meisten Staaten bislang nicht gewillt waren, das Treiben im Internet zu legalisieren oder zumindest Rechtssicherheit zu schaffen.

Um manche Gesetzgebung zu umgehen, stellten die Betreiber ihre Server auf Inseln auf – den niederländischen Antillen beispielsweise. Dort wird Poker nicht als Glücksspiel einsortiert und das Betreiben eines Unternehmens ist dort ebenfalls einfacher als anderswo. Allerdings scheint die Aufsicht für Unternehmen auch lascher zu sein. Die meisten Spieler interessierte das zunächst wenig. Der Bankrott eines der größten Anbieter durch eigenes schuldhaftes Zutun der Verantwortlichen sollte das ändern. Zumindest, wenn die Branche endlich erwachsen werden will.

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Online-Gaming mit Geldeinsatz ist bislang fast überall illegal. In Europa kommt durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Bewegung in die Szene. Bislang sicherten sich viele Staaten ihr Monopol auf Lotto und Toto: US-Banken waren spätestens zum 1. Juni 2010 Transaktionen an Internet-Spiel-Unternehmen verboten. Über den Glücksspielstaatsvertrag verhandeln die Bundesländer seit Jahren.[/box]

Black Friday

Trotz der seit dem Jahr 2006 ungeklärten Rechtslage versorgten einige Betreibergesellschaften US-Spieler weiter mit der gewünschten Dienstleistung Online-Poker. Diese zahlten zunächst fleißig über fragwürdige Kanäle weiter Geld ein und hielten das Rad am Laufen. Bei der Einzahlung begingen Spieler und Dienstleister fortgesetzt Rechtsbrüche. Einige Anbieter wie der einstiege Branchenprimus PartyPoker zogen sich frühzeitig aus dem US-Markt zurück, verzichteten auf Umsätze und strukturierten um. Andere versuchten mit Tricks weiter den ausgemachten Hauptmarkt zu bedienen. Einige Jahre später zogen die Vereinigten Staaten Konsequenzen und brachten mehrere Anbieter in die Bredouille. Die Vorwürfe damals waren keine Kleinigkeiten: Geldwäsche, illegales Glücksspiel und Bankbetrug.

Für die Anbieter Absolute Poker, Ultimate Bet, Full Tilt Poker und Pokerstars gingen am 15. April 2011, dem Black Friday, die Lichter aus. Das FBI und die New-Yorker-Staatsanwaltschaft einigten sich einige Tage mit Full Tilt und Pokerstars, die US-Spieler künftig vom Online-Gambling auszuschliessen. Dachte man, wenn man das folgende Dokument liest.

Nomen est omen: Full Tilt

Nach April 2011 wurde es zumindest für Außenstehende bei Full Tilt unübersichtlich: Ursprünglich hieß es, man würde keine US-Spieler mehr akzeptieren, damit wäre man dem Weg von PartyPoker gefolgt. Wie es genau bei Full Tilt weiterging, ist bis heute unklar. Später sprach der ermittelnde US-Staatsanwalt von Phantomgeld mit dem US-Bürger sich an die Tische setzen konnten. Anders formuliert: Die US-Amerikaner spielten offenbar mit virtuellem Geld gegen Spieler aus anderen Nationen, die echtes Geld einsetzten, denn das Ein- und Auszahlen von Geld war zumindest auf legalem Wege nicht möglich.

Im Juli 2011 wurde Full Tilt Poker die Lizenz entzogen. Anfang Juni 2011 soll Full Tilt Poker (FTP) nur noch etwa sechs Millionen US-Dollar auf dem Bankkonto gehabt haben – bei Außenständen von etwa 390 Millionen Dollar. Das geht aus einer ausführlichen Information der Staatsanwaltschaft vom 20. September 2011 hervor. 150 Millionen schuldete das Unternehmen alleine US-Bürgern. In den Jahren zuvor – so der Staatsanwalt hatten die Aufsichtsräte sich über 440 Millionen US-Dollar genehmigt. Es folgten Beschlagnahmen sogar in der Schweiz.

Am 29. Juni entzog die Alderney Gambling Control Commission (AGCC) Full Tilt Poker „vorläufig“ die Lizenz.

Das Spiel war zunächst aus und die Ereignisse und Gerüchte überschlugen sich in der Folgezeit. Denn ohne diese Lizenz wollen Geldunternehmen auch in anderen Ländern nicht mehr mit FTP zusammenarbeiten und so kam es zum endgültigen Zusammenbruch. In Internetforen waren anfangs immer noch Optimisten zu hören. Bereits einen Tag später war dann in den Foren eher Panik die überwiegende Emotion.

Das Unternehmen Pocket Kings, bei FTP für Marketing und Technologie zuständig, wollte bis zu 250 Stellen streichen. Dazu suchte man einen Käufer für FTP. Immer wieder war in den Folgemonaten von einem Käufer die Rede: Irgendwer kam auf die Idee, ein Investor könne großzügig durch Rekapitalisieren Spielern das Geld zurückgeben. Das klang schon zu Beginn mehr nach Tagträumerei.

Am 29. September 2011 entzog die Alderney Gambling Control Commission (AGCC) Full Tilt endgültig die Lizenz. Die Organisation verwies Spieler, die von FTP Schadenersatz wollten, an die Behörden. Britische, kanadische und amerikanische Anwälte schickten Sammelklagen.

Warum um den Begriff Ponzi-Schema ein Wettstreit entstand und wie es weiterging lesen Sie im zweiten Teil.

 

Artikelbild: Full-Tilt-Poker-Profis. Promotionfoto von Full Tilt Poker.

 

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Der Autor

Thorsten Cmiel

Thorsten Cmiel ist Chefredakteur von Investment Alternativen. Der studierte Ökonom ist seit über 15 Jahren als Finanzjournalist und Buchautor tätig.