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Die Online-Pokerbranche nach Full Tilt

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19. April 2012

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Die Online-Pokerbranche nach Full Tilt

Die ehemaligen Spieler von Full Tilt Poker (FTP) müssen mit einem Totalverlust ihres Geldes rechnen. In jedem Fall dürfte die Abwicklung längere Zeit in Anspruch nehmen. Falls überhaupt noch etwas zu verteilen ist.

Einige Optimisten hoffen, dass ein Investor das Unternehmen Full Tilt Poker und vor allem ihre Forderungen gegen das Unternehmen gleich mit übernimmt. Seit Monaten ist der französische Investor Tapie in Verhandlungen getreten und will das Unternehmen kaufen. Aber der mögliche Käufer stellte Bedingungen und die Hoffnung, dass jemand mit Full Tilt einen Neustart versuchen könnte, dürfte eine Illusion bleiben. Gerüchte machten die Runde, dass Spieler Anteile am Unternehmen erhalten könnten. Um einen kräftigen Schuldenschnitt wird man kaum herum kommen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Wie wird ein Ponzi eigentlich abgewickelt?

Im Fall Madoff erfolgte die Abwicklung so: Man beschlagnahmte zunächst das vorhandene Vermögen des Bankrotteurs und verwertete dessen Immobilienbesitz. Zeitgleich wurden Investoren angeschrieben, die Auszahlungen erhalten hatten. Da ein Ponzi ab dem Zeitpunkt seines Beginns rückabgewickelt wird, müssen auch die virtuellen Gewinne zurückgezahlt werden. Das könnte im Falle von FTP ganz massive Folgen haben. Und genau deshalb ist es zunächst wichtig zu entscheiden ob und ab welchem Zeitpunkt FTP ein Ponzi war (Teil 2).

Dieser Start-Zeitpunkt könnte noch früher gewesen sein, wenn eine andere Vermutung sich bewahrheitet und die Profispieler seit längerer Zeit zu großzügig bedacht wurden. So erhalten Profis, die sozusagen als Testimonials für die Site agieren, eine Rückerstattung ihrer Gebühren. Oder sogar Kredite, wenn es mal schlecht läuft – auch das ist in den letzten Monaten herausgekommen. Dabei flossen bei FTP erhebliche Summen an Pokerprofis, die das Unternehmen aus dem Überschuss hätten finanzieren müssen. Sollte dieses Konzept von Anfang an stark defizitär gewesen sein, dann könnte man den Zeitpunkt der eigentlichen Insolvenz des Unternehmens – und damit das Vorhandensein des Ponzi-Systems – wegen Zahlungsunfähigkeit noch längere Zeit zurückdatieren.

Pleitier Bernard Madoff

Schneeballkönig Bernard Madoff

Die Konsequenzen aus einer Rückdatierung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs könnte eine Rückabwicklung aller Transaktionen ab einem Zeitpunkt X sein. Sieger dieser Pokerspiele werden sich weigern und daher kämen wohl noch einige Wellen an Anwaltstätigkeiten hinzu. Dadurch dürfte der Kuchen zum Rückverteilen immer kleiner werden. Bei „Bernie“ Madoff verdienten Anwälte etwa 30 Prozent des Gesamtkuchens. Als Gesamtsumme kam bei Madoff später ordentlich etwas zusammen, da einige Banken aus Angst vor Schadenersatzklagen wegen falscher Beratung Milliardenbeträge überwiesen. Freiwillge Rückzahlungen sind im Fall von Full Tilt eher unwahrscheinlich. Eine Reihe von Profis weigerte sich Kredite zurückzuzahlen, wenn die Spieler nichts davon hätten – so die Schutzbehauptung – es geht um immerhin 16,5 Millionen Dollar. Auch eine interessante Rechtsauffassung. (Zu einem Interview mit dem Profi Barry Greenstein bei Poker News)

Online-Poker nach Full Tilt

Die Pokerspieler können sich nicht die Rosinen herauspicken: Wer keine Steuern zahlt, weil er darauf besteht, Poker sei ein Glücksspiel, den schützt das Rechtssystem nicht. Der Volksmund weiß: Spielschulden sind Ehrenschulden. Rechtlich durchsetzbar sind zumindest in Deutschland Forderungen aus solchen Geschäften nicht. Wenn man Einzahlungen bei einem Unternehmen vornimmt, gelten jedoch andere Maßstäbe.

Die Pleite von Full Tilt Poker hat gezeigt, dass es im Sinne der Online-Spieler wäre, wenn die Staaten die Branche und Online-Gaming insgesamt regulieren würden. Dafür würde es vermutlich eine Art Umsatzsteuer geben, die der Staat zusammen mit der Rake einkassiert und dafür im Gegenzug auf individuelle Steuern verzichtet. Damit wäre ein anderes Problem abgeräumt.

Möglicherweise beginnen dann die Spieler auf schnelles Spielen zu verzichten, denn der Kuchen wird insgesamt immer kleiner. Ausgerechnet Full Tilt Poker hat durch Innovationen wie „Rush Poker“, dabei kann man nach Passen einer Hand den Tisch wechseln und so viel mehr Hände spielen, die Geschwindigkeit des Spiels erhöht. Auch sollten sich die Spieler Gedanken über ihre bisherigen Helden machen, denn ein faires Spiel ist Online-Poker mit den vielen Privilegien für Profis sicher nicht.

Für das eigene Money-Management – Pokerspieler nennen das Bankroll-Management – hatte ausgerechnet Full-Tilt-Star Chris Ferguson einen sehr guten Rat parat: Wer an einem Spieltisch im No-Limit-Poker gut vorne liegt, sollte gelegentlich aufstehen und einen Teil seines Geldes auscashen, um nicht in einer Hand zu hohe Risiken eingehen zu müssen. Für das eigene Geld bei Full Tilt Poker wäre das in der Tat ein guter Schutzmechanismus gewesen.

Die Branche muss aufräumen

Der Fall von Full Tilt Poker sollte die Branche dazu bringen, sich weiter zu professionalisieren. Dazu gehören eine transparente Buchführung und die Forderung einer strikten Trennung von Firmen- und Kundengeldern. Ferner dürfen die Privilegien der Profispieler nur aus den Überschüssen finanziert werden. Was eine Selbstverständlichkeit sein sollte, ist bislang offenbar nicht so. Ferner benötigen die Pokerfirmen eine bessere Kontrolle als dubiose Aufsichten auf Kanalinseln. Angeblich wollen die Pokersites gerne Steuern zahlen, wenn sie dafür legal agieren dürfen. Man kann so argumentieren. Aber für ethisch einwandfreies Verhalten benötigt kein Unternehmer Kontrolleure oder Regeln. Über die Glaubwürdigkeit der Pokersites müssen die Online-Spieler durch ihre Anbieterwahl selbst entscheiden.

Die Verantwortlichen, Mitwisser und Profiteure der Praktiken des Selbstbedienungsladens von Full Tilt Poker können sich nicht mit einem Mangel an Regulierung herausreden. Die Story um Full-Tilt-Poker hat noch einige Insiderinformationen bereit gehalten. So kam das gesamte Geschäftsmodell nebst Vorteilen für Profis ans Tageslicht. Um in dem Geschäft erfolgreich zu sein, musste man bei FTP nicht ein guter Pokerspieler, sondern mit Privilegien ausgestattet sein. Diese konnten in Hochzeiten bei Servicemitarbeitern gegen Beteiligung käuflich erworben werden.

Der weitere Erfolg der Branche wird davon abhängen, ob die Spielbetreiber den Teilnehmern in Zukunft faire Bedingungen bieten und ob sich legale Geschäftsmodelle gegenüber reinen Marketingkonzepten durchsetzen. So könnte der Bankrott von Full Tilt für die Branche als eine Art reinigendes Gewitter wirken. Die Abwesenheit von Profis scheint für Spielbegeisterte, die nicht ihren Lebensunterhalt mit Pokern bestreiten wollen, ein Qualitätsmerkmal zu sein. Unter den Rahmenbedingungen zurzeit  ist das Einzahlen von Geld bei Online-Pokerseiten eine Art zusätzliches Glücksspiel. Und das für eine Disziplin, die darauf Wert legt, dass Poker ein Geschicklichkeits- und kein Glückssspiel ist.[divider top=“1″]

Inzwischen scheint sich eine Lösung gefunden zu haben. Ein Anbieter will die Guthaben auszahlen. Welche Konsequenzen auf die beteiligten ehemaligen Größen der Branche zukommen, ist völlig unklar.

Artikelbild: Poker-Pros von Full Tilt. Promofoto aus besseren Tagen.

 

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Der Autor

Thorsten Cmiel

Thorsten Cmiel ist Chefredakteur von Investment Alternativen. Der studierte Ökonom ist seit über 15 Jahren als Finanzjournalist und Buchautor tätig.